Genotypische Bestimmung des HIV-1 Ko-Rezeptorgebrauchs bei HIV-Neudiagnosen zur Unterscheidung von kürzlich erworbenen und chronischen Infektionen
Peisker, Madlen
Für einen effizienten Viruseintritt bindet das Humane Immundefizienzvirus (HIV) über das Hüllprotein gp120 den immunogenen Rezeptor CD4 sowie den Ko-Rezeptor CCR5 oder CXCR4 auf Immunzellen. Entsprechend des Ko-Rezeptorgebrauchs werden die Viren in R5- oder X4-Viren bzw. in dualtrope (R5X4) Viren unterschieden. Der Ko-Rezeptorgebrauch wird über die hypervariable Domäne 3 (V3-Loop) des viralen Glykoproteins (gp) 120 vermittelt. R5-Viren dominieren die frühe Infektionsphase. In 50% der HIV Subtyp B-Infektionen erfolgt als Konsequenz von Mutationen der Übergang zu X4-Viren. Daraus ergab sich die Hypothese, dass in der frühen Phase der Infektion keine reinen X4-Viren auftreten. Für die Inzidenz-Studie der Molekularen Surveillance am Robert Koch-Institut werden Filter getropfte Restseren von HIV-Neudiagnosen (DSS - dried serum spots) mit einem anonym erhobenen Meldebogen an das Institut gesandt. Mittels eines serologischen Rezent-Testes erfolgt die Klassifizierung der Infektionen in kürzlich-erworben (< 155 Tage) und chronisch. Der verwendete Rezent-Test weist eine Fehlerrate von 10% auf. Ziel dieser Arbeit war es Sequenzen des HIV V3-Loops von Patienten mit einer kürzlich-erworbenen Infektion aus einer optimierten env-PCR hinsichtlich der aufgestellten Hypothese zu überprüfen. Bei Bestätigung der Annahme soll der Nutzen der genotypischen Ko-Rezeptorvorhersage zur Korrektur für serologisch falsch-rezent eingestufter Infektionen diskutieren werden. Basierend auf einer semi-nested PCR wurde bereits im Vorfeld eine env-PCR für Plasmaproben etabliert. Dieses PCR-Protokoll diente als Grundlage für die Optimierung einer env-PCR für die in der Inzidenzstudie verwendeten DSS. Die Hypothese, dass in der frühen Infektionsphase keine reinen X4-Viren auftreten, wurde zunächst anhand eines Evaluationspanels aus 108 Plasmaproben der Serokonverterkohorte mit bekannter kurzer Infektionsdauer (< 155 Tage) untersucht. Hierfür wurden sechs genotypische Ko-Rezeptor-Vorhersagemodelle (11/25-Regel; geno2pheno[coreceptor]original; geno2phenoCNGS-Sanger, PSSMX4R5; PSSMSINI, HIVcoPred) verglichen. Anschließend wurde die für DSS etablierte env-PCR sowie das Vorhersagemodell, das mit der Hypothese korreliert, auf ein Probenpanel von HIV-Neudiagnosen (85 rezente Infektionen, 155 chronische Infektionen) aus 2014 (Oktober – Dezember) angewandt, um das Auftreten von X4-Viren zu untersuchen und mit dem Ergebnissen des serologischen Rezent-Tests zu vergleichen. 81 Proben der rezenten Infektionen wurden neben Sanger-Sequenzierung auch mit Next generation sequencing (NGS) nach dem Illumina MiSeq-Prinzip unter Verwendung verschiedener Grenzwerte zur Detektion von Minoritäten untersucht. Die erfolgreich etablierte env-PCR weist für den in Europa stark prävalenten Subtyp B eine hohe Sensitivität mit einer Nachweisgrenze von 6,0E+02 Kopien/ml auf. Für Subtypen A, C, D, G und die CRF02_AG ist die PCR um ein- bis drei log-Stufen weniger sensitiv. In dem untersuchten Evaluationspanel aus 108 Plasmaproben konnten mit den genotypischen Vorhersagemodell geno2pheno[coreceptor]original und PSSMX4R5 bzw. PSSMSINI keine reinen X4-Viren in der frühen Infektionsphase nachgewiesen werden, während mit der 11/25-Regel in Verbindung mit der Nettoladung sowie mit geno2phenoCNGS-Sanger in einer von 108 Proben X4-Viren klassifiziert wurden. Für die Untersuchung der HIV-Neudiagnosen aus 2014 wurde geno2pheno[coreceptor]original verwendet, da dieser Algorithmus von den Deutsch-Österreichischen und Europäischen Richtlinien empfohlen wird. In der Gruppe der rezenten Infektionen (n=85) wurden in fünf der nach Sanger-sequenzierten Proben X4-Viren identifiziert. In dem Panel von 81 Proben, das mit Sanger und NGS sequenziert wurde, konnten in vier Sanger-Sequenzen X4-Viren klassifiziert werden. Mit der sensitiveren NGS-Methode waren es bei einem Grenzwert von 20% sowie mit 10% für minoritäre Varianten fünf Patienten. Im Evaluationspanel konnte die Hypothese, dass keine reinen X4-Viren in der frühen Infektionsphase auftreten, mit dem originalen geno2pheno[coreceptor]-Algorithmus für alle 108 Proben bestätigt werden. Demnach könnte die Ko-Rezeptorvorhersage zur Korrektur der serologisch falsch-rezent klassifizierten Proben der Inzidenzstudie beitragen. In den vom ELISA als rezent-eingestuften Infektionen (n=81) identifizierte das Vorhersagemodell 4,9% X4-Viren auf Grundlage von Sanger-Sequenzen und in 6,2% unter Verwendung von NGS-Sequenzen mit den 20% und 10%-Grenzwert. Demnach könnten die methodische Limitation des ELISAs bei den vier bzw. fünf als „falsch rezent“ eingestuften Patienten durch die Ko-Rezeptorvorhersage korrigiert werden. Um diese Annahme, dass es sich tatsächlich um die frühe Infektionsphase handelt, fehlen jedoch die klinischen Daten. So könnten X4-Viren in geringer Konzentration zu Beginn der Infektion auftreten, was von Rieder et al für 1% der frühen Infektionen gezeigt wurde. Auch methodische Limitationen der Ko-Rezeptorvorhersage und Falschvorhersagen von X4-Viren sind wahrscheinlich, da der originale geno2pheno[coreceptor]-Algorithmus insbesondere mit Sequenzen des B und C trainiert wurde, sodass Fehlerinterpretationen bei den übrigen HIV-Subtypen auftreten können. Zudem ist bereits bekannt, dass neben dem V3-Loop auch andere Strukturen innerhalb des gp120 aber auch in gp41 an der Interaktion mit dem Ko-Rezeptor beteiligt sind. Aus epidemiologische Sicht ist die Bestimmung des Ko-Rezeptorgebrauchs mit geno2pheno[coreceptor]original für die Korrektur falsch-rezent klassifizierter Infektionen anwendbar, insbesondere wenn keine klinischen Daten vorliegen. Es trägt demnach zu einer besseren Charakterisierung kürzlich-erworbener HIV-Infektionen unter den HIV-Neudiagnosen in Deutschland bei.
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